Samstag, 8. November 2008

Grenzgänger

Stars Of The Lid - And Their Refinement Of The Decline

sotl Wenn der Gründer des feinen 4AD-Labels von einer Band meint "I simply feel that they are making the most important music of the 21st century." dann wird das 1. überall zu Werbezwecken genutzt werden (oder als einfallslose Einleitung) und 2. gewisse Erwartungen an etwas Außergewöhnliches wecken. Und außergewöhnlich sind Stars of the Lid ja auch. Außergewöhnlich wichtig oder außergewöhnlich schön oder außergewöhnlich fortschrittlich vielleicht? Auf jeden Fall nicht sehr bündig, hier 120 Minuten auf wahlweise zwei CDs oder drei LPs, die sich nach bester 'Bohren & der Club of Gore'-Manier vornehmlich der Abstinenz musikalischen Geschehens widmen.

Und dabei den Hörer zudem im Gegensatz zum Club nicht in den kalten Keller schicken, sondern in Watte einwickeln bis zur Unbeweglichkeit. Nicht im entferntesten nach Gitarren klingende Gitarren sowie Bläser verschmelzen in vollkommener Homogenität zu herein- und herausschleichenden Klangwellen, werden leicht moduliert und selten auch ergänzt, etwa von einem vorsichtigen Piano wie im besonders tollen 'Apreludes (in C sharp major)'. Am überraschendsten fand ich dabei, dass sich trotz der klaren Linie (man kann auch sagen: kaum vorhandenen Abwechslung) kein ganzheitlicher, übergroßer Soundklotz entsteht, den sowieso kein Mensch in seiner Gesamtheit aufmerksam verdauen könnte. Tatsächlich finden sich hier einige „Songs“ (oha!), die qualitativ klar hervorstechen und einen von gerade ausgeübten Tätigkeiten ablenken können. Wobei das auch mit darin begründet sein könnte, dass man bei drei LPs öfter mal wechseln muss und die Songs automatisch in Gruppen kennenlernt und vielleicht aktiver zuhört. Die Frage nach dem Hörkontext stellt sich hier natürlich mehr als etwa bei dem letzten Album von the Locust. Geht das, dem Ambient so richtig zuhören? Und wenn nicht, was ist derart bescheidene Musik wert, die nur in Hintergründen existiert oder funktioniert? Man bewegt sich hier auf dem schmalen Grat zwischen gähnenden Abgründen der Belanglosigkeit auf der einen Seite, jedoch auch einer ernstzunehmenden Herausforderung für den Liebhaber auf der anderen.

Denn in all seiner Ruhe ist das hier auch ein wenig anarchisch komponierter Irrsinn, der in langen und garnicht so wiederholungsträchtigen Melodieführungen ein gewisses Zukleistern der Lücken seitens des Hörers verlangt und natürlich nichts mit Albernheiten wie Refrains am Hut hat. Die Musik scheint nicht als Geistesblitz kreativer Köpfe unbedingt nach außen dringen zu wollen, auch ist akribische, humorlose Arbeit daran vorstell-, jedoch nicht hörbar. Vielmehr scheint sie aus sich selbst zu entstehen, einfach so da zu sein, so dass als einziges Adjektiv überhaupt „natürlich“ sie treffend beschreiben kann. Ein wenig wie im Japanischen, wo die 'Natur', etwas seltsam, als shizen 自然 ihrem Namen nach ganz ursprünglich gedeutet „von sich selbst so ist“. Nicht für irgendwen oder einen bestimmten Zweck, so profan das alles ist, aber wunderschön und von einer unkomplizierten Emotionalität (wenn es so etwas gibt). Die Band scheint dem beizuwohnen mit wohlwollend guter Laune, vergibt Titel wie „Articulate Silences“ oder „Hiberner Toujours“ und lässt ein Album entstehen, das Zeit und andere Dringlichkeiten marginalisiert. Ein Schelm, wer hier Zahlen zückte.

(ohne Bewertung)

Jim O'Rourke, Akira Sakata, Yoshimio - Hagyou

hagyou Ein Blick auf meine „Zuletzt gekauft“-Liste rechts in letzter Zeit könnte es verraten: Der gute Jim O'Rourke hat es mir ziemlich angetan. Wer als Soundtüftler nicht unwesentlich beteiligt war an zwei meiner Lieblingsalben, wer in meiner Lieblingsband spielte und die Hälfte der ebenfalls tollen Gastr del Sol darstellte und nicht zuletzt auch solo von beeindruckenden Laptop-Improvisationen bis einschmeichelndem Folk irgendwie alles kann... der darf sich dann auch aussuchen, mit wem er sonst noch künstlerisch kollaboriert.

Die Japaner scheinen Jim auch knorke zu finden, denn auf diesem Album gesellten sich Multiinstrumentalist, hauptberuflich Saxophonist Akira Sakata sowie Yoshimi (of Boredoms fame) dazu, der sich prompt noch ein „o“ an den Namen hängte, vielleicht weil ihm das von Jim so gut gefallen hat.

Die Spinecard verspricht スタティックな音の世界, also wörtlich eine „statische Tonwelt“, was mir nicht einleuchtet. Obwohl hier Tonwelt schon ein passendes Wort ist, kann man an den maximal beweglichen fünf Konstrukten hier wenig Statisches finden. Wenn überhaupt, dann ist alles so konsequent in Bewegung, dass dieser Zustand selbst statisch wirkt. Im Vergleich zu Stars of the Lid, denen ich oben einen gewissen Anspruch an den Hörer andichtete (und wo mir nicht jeder zustimmen wird), wirkt dieses Werk noch um einiges fordernder. Obwohl es kaum aggressive Züge trägt, wird es doch Hörgewohnheiten herausfordern und sich für Manchen an der Grenze des übertriebenen Abstraktionsgrades bewegen, gerne mit dem Free Jazz-Genre assoziiert. Dazu wird auch Sakatas Saxophon, das Sakaphon, ordentlich beitragen, steht es doch oft im Mittelpunkt und hat als Instrument für mich persönlich erhöhtes Nervpotenzial. Doch das Sakaphon mag das Atonale gar nicht so gern und es befindet sich, vor allem wenn mit Kopfhörern konsumiert, in wunderbarer Gesellschaft.

Jim spielt eine herrlich lofi-wummernde, teils etwas bluesige Gitarre, die mich sofort an seine Sonic Youth Zeit (SYR3) denken lässt, und auch seine Elektronikkiste hat er wieder ausgepackt. Mal zieht er gezielt den gewünschten Tiefton heraus, mal hat er sie nicht aufgeräumt und verwirrt angenehm. Yoshimi-O spielt Pian-O, wie die andern beiden übrigens auch, und schreisingt dazu in einer Fantasiesprache, mehr perkussiv als melodietragend könnte man sagen. Und falls das jetzt alles nach abstrusem Soundgewirr oder pseudo-intellektueller Pitchfork-Musik klingt, kann ich zum Glück widersprechen. Denn 1. ist Jim ein verdammtes Genie wenn es darum geht, die Soundbausteine jeglichen musikalischen Inputs, und komme er aus noch so verschiedenen Richtungen, richtig aufzutürmen bis ein sonderbar dreidimensionales Gebilde entsteht. Und manchmal zieht er auch was raus und das funktioniert frecherweise ebenfalls. Jim spielt bestimmt auch gern mit sich allein Jenga.

Neben Jenga-Jims Fähigkeiten sei 2. gesagt, dass es sich hier um erstaunlich zielstrebige Kompositionen handelt. Es bedarf zwar sicher ein paar Hördurchgängen mehr, aber was alleine im zweiten Track, 'A vessel on a foggy night' steckt, ist das schon wert. Die ersten zwei-einhalb Minuten scheint hier alles in der Luft zu hängen, ehe mit ein, zwei Gesten die ganze Stimmung kippt, mit der Tür ins Geisterhaus. Da verzeih ich ihnen auch, dass sie im etwa 18 Minuten langen dritten Track das Sakaphon eine Zeitlang vom Atonalvirus befallen lassen. Denn die in dieser Kombination recht originellen Zutaten und die Edelproduktion machen das Album wirklich interessant und hörenswert, was eine 8/10 auf jeden Fall rechtfertigt. Für eine 9 müssten es mir dann doch mehr Tracks sein, die nicht nur musikalische, sondern auch emotionale Qualitäten besitzen.
-----

Letzte Tonträger


Spaceways Incorporated
Thirteen Cosmic Standards


Savoy Grand
People And What They Want


Susie Ibarra Trio
Songbird Suite


E.s.t.-Esbjörn Svensson Trio
Leucocyte


Herbie Hancock
Thrust


Yo La Tengo
Fade

Letzte Bücher


Genpei Akasegawa
Hyperart: Thomasson


Jay McInerney
Bright Lights, Big City


Rob Young ed.
Undercurrents - The Hidden Wiring of Modern Music


Rob Schrab
Scud, the Disposable Assassin: The Whole Shebang!

Suche

 

Status

Online seit 6276 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 5. Sep, 12:45

Credits

content: Philipp Klueglein 2006-2013
Fonts used: Baskerville, Futura, 'Cardboarder' by kix, 'Frigate True Type Katakana 3D'

Allgemein
Filme
Hardware
Japan
Kultur
Monoriginal
Musik
Print
Spiele
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren