Dienstag, 26. Januar 2010

Mother 3: Itois RPG-Kunstwerk

mother 3 cover Spiel: Mother 3

Konsole: Gameboy Advance

Version: jap.

Erschienen: 2006

Genre: Rollenspiel

Wertung: 9/10


Seit ich vor einigen Jahren recht spät mein erstes Rollenspiel (ausgerechnet Final Fantasy VIII) verschlungen habe, hat das Genre einen festen Platz in meiner Sammlung und meinen Spielgewohnheiten. Ein Rollenspiel ist für mich gemütliche Abwechslung zu hektischen Actiontiteln. Hat man ein bis zwei RPGs gespielt, sind die Grundmechaniken und ungeschriebenen Gesetze des Genres verinnerlicht. Dazu noch die paar Feinheiten des aktuell im Modul- oder CD-Schacht sitzenden Spieles erlernt und schon findet man sich einer im Grunde repetitiven Schleife der selben Tätigkeiten wieder: reden, einkaufen, Dungeons erforschen, kämpfen und Storysequenzen gucken. Es liegt dann an der Ausführung des entsprechenden Titels, ob man bereit ist, die üblichen 30 bis über 100 Stunden seines Lebens dafür zu opfern. Sympathische Charaktere, eine Geschichte voller Plot-Twists oder philosophischen Auswucherungen, eine motivierende Spielmechanik mit vielen Geheimnissen und taktischen Kämpfen... solche Attribute helfen dabei, auch den zwanzigsten Anlauf zur Rettung der Welt noch unterhaltsam zu gestalten. Mother 3 schlüpft in das Genrekostüm, allerdings nicht ohne es vorher nach eigenen Vorlieben umzunähen. Der Schneider hört auf den Namen Shigesato Itoi und hat nun einen neuen Fan.

Mother 3 ist kein episches Schlachtengemälde, kein an Komplexität überbordendes Werk. Es wird mit seinem Vorgänger gerne als das Spiel zitiert, das am nähesten zu Literatur steht. Das könnte auch an Itois literarischem Background liegen, der übrigens vor allem als Journalist bekannt ist, befreundet ist mit Haruki Murakami und mit diesem bereits eine Textsammlung geschrieben hat. Und so ist die Narrative die treibende und strukturgebende Kraft in diesem Spiel. Das fängt schon damit an, dass das Spiel in acht Kapitel unterteilt ist, wobei man zu Beginn in jedem Kapitel einen anderen Charakter spielt. Es gibt erstmal keinen klassischen Hauptcharakter, um den sich innerhalb von fünf Stunden die Gruppe formiert und alsdann die Welt retten geht. Die Charaktere treffen und trennen sich wiederholt, und zum Kreis der mit eigenem Kapitel bedachten Personen gehört auch schonmal ein Affe. Erst spät im Spiel bildet sich eine Art klassische Rollenspiel-Story heraus, die eure Gruppe zusammenwachsen und gegen das Böse antreten lässt. Das allgemeine Motiv des Spieles ist das Eindringen von Technik in eine vorher nahezu unberührte Umgebung und wie diese Technik aus Machtgründen missbraucht wird. Dies reflektiert sich auch in dem halb aus Metall, halb aus Holz bestehenden Logo des Spiels. Ein leicht cyberpunkiges Thema eigentlich, hier allerdings in einer Welt zwischen nostalgischer Dorfromantik, Gegenwarts-Referenzen, leichten Fantasy-Elementen und einer Prise guter alter Japan-weirdness, wenn etwa die Wächter bedeutungsvoller Artefakte scheinbar Transvestiten sind.

Zwei der Charaktere sind die Kinder Luca und Claus, deren Mutter Hinawa schon früh im Spiel stirbt. Luca ist davon traumatisiert und im Spiel gibt es immer wieder Flashbacks in seine vorherige Kindheit oder eine Traumsequenz, die ganz ohne Worte oder plakative Darstellungen auskommen und wohl deshalb so wirksam sind. Für den größeren Teil der Zeit ist Mother 3 hingegen eher lustig, seltsam, bis hin zu albern. Das Spiel ist vollgestopft mit kleinen Gags, amüsanten Dialogen und Überraschungen. Öffnet man in anderen Rollenspielen eine Schatztruhe, findet man entweder etwas Wertvolles oder ein Monster. In Mother 3 kann es auch schonmal passieren, dass ein Feuerwerk losgeht, eine Samba-Melodie spielt oder man von einem Geist, der in der Truhe sein Dasein fristete, frech angerülpst wird. Die Mischung aus der grundlegend eher leichten Stimmung, akzentuiert durch einige dramatische Ereignisse, trägt das Geschick der Charaktere jedenfalls näher ans Spielerherz. Eben weder ein albernes Spiel (wie die Mario-Rollenspiele), noch eines der vielen allzu Humorlosen. mother 3 screenshot 1

mother 3 screenshot 2

Alles in Mother 3 scheint darauf ausgerichtet, den Spieler zu unterhalten. Dazu gehört auch, dass es schön stetig voran gehen soll. Ist die eigene Gruppe im Kampf dahingeschieden, kann man auf Wunsch direkt weiterspielen ab dem letzten Speicherpunkt: mit allen Items und Erfahrungspunkten, die man auch nach dem letzten Speichern bis eben zum Ableben gesammelt hatte. Man verliert die Hälfte des Geldes, doch fungieren die lobenswert zahlreichen Speicher-Frösche auch als Bankautomat, dem man seine wertvollen Münzen sicherheitshalber anvertrauen kann. Frust ade! A propos Geld: das gibt es zu Beginn des Spieles noch nicht einmal. Eine Währung wird erst im späteren Spielverlauf eingeführt, bleibt aber ein dezentes Element im Hintergrund. Viele Mechanismen des Genres sind hier eher in ihrer reduzierten Variante vertreten: keine Möglichkeiten, die Charakterentwicklung anzupassen. Kaum Sidequests. Kein Waffenschmieden, Alchemie oder ausgiebige Schatzsuche. Mother 3 ist zwar zweifelsohne ein Rollenspiel, nimmt sich aber nur die nötigsten Zutaten, um vor allem eine Geschichte zu erzählen. Es hält einen nicht in immer gleichen Kreisläufen fest, wirft Ballast über Bord.

Besonders sind auch die Kämpfe geworden, sobald man einen der auf der Oberwelt sichtbaren Gegner trifft. Im Grunde ein normales rundenbasiertes Kampfsystem, so bleibt doch die Eigenart, dass jeder normale Angriff auf eine Combo mit bis zu 16 Schlägen ausgeweitet werden kann. Zu diesem Zweck drückt man eine Taste im Takt der Musikuntermalung. Wo andere Genrevertreter ein oder zwei Musikthemen für die Kämpfe besitzen, gibt es dem Spielsystem geschuldet hier ein ganzes Sammelsurium verschiedenster Stilrichtungen. Und die Musik stellt euch Fallen: Rhythmuswechsel oder Aussetzen des Schlagzeugs, ja bis zu fiesen Breakbeats denen man kaum folgen kann reichen die Gemeinheiten. Man muss dieses Feature nichtmal nutzen und kann das Spiel (mit etwas mehr Mühe) auch ohne musikalische Spielereien zu Ende bringen. Aber das wäre doch viel langweiliger! Ein anderes originelles Feature ist die HP-Anzeige. Nimmt man Schaden, so wird der Betrag nicht mit einem mal abgezogen, sondern eure Lebenspunkte laufen nach dem Treffer konstant und zügig ab. Wer schnell genug handelt, kann in dieser Zeit auch einen eigentlich tödlichen Treffer durch einen Heilzauber ausgleichen, oder auch versuchen, den Kampf vor Ablauf der HP zu beenden. Eine motivierende Idee und manchmal eine schweißtreibende Angelegenheit!

Musik ist übrigens allgemein ein großes Thema hier und anscheinend eine weitere Leidenschaft von Itoi. Man möchte glauben, die Hälfte des Speicherplatzes auf dem Modul hätte man mit der hervorragend komponierten Musik verbraucht. Auch beim Sounddesign hat man sich Gedanken gemacht, so dass man beispielsweise bestimmte Melodien aus der Ferne bereits leise hören kann. Würde ich hier eine gesonderte Wertung für den Sound vergeben, wäre Mother 3 schlicht das einzige mir bekannte Handheld-Spiel mit der Höchstnote.
Auf grafischer Ebene gesellen sich dazu eine äußerst liebevoll gezeichnete 2D-Optik mit westlich geprägtem Characterdesign, was das ganze manchmal wirken lässt wie ein animiertes Pixelart-Gemälde. Fast hätte ich Lust, mir noch einen GBA-Player für den Gamecube zuzulegen, um Mother 3 mal auf einem großen Bildschirm zu erleben. Spartanisch sind hier die Kämpfe geraten, in denen man wie beim Klassiker Dragon Quest nur die Monster vor einem sieht, die hier zudem nicht animiert sind, sondern starr vor einem psychedelisch animierten Hintergrund stehen. Ich persönlich kann in diesem Fall gut damit leben, da ich meist genug damit beschäftigt bin, dem Rhythmus zu folgen.

Heute habe ich das halb offene Ende des Spieles erreicht. Ich spiele praktisch nie ein Rollenspiel zwei mal durch und ob es bei Mother 3 so weit kommen wird, kann ich noch nicht sagen. Aber wenn, so läge die Motivation ganz sicher darin, sich ein weiteres mal an all den Einfällen und der Story mit all ihren Höhen und Tiefen zu ergötzen. Man kann wirklich nur den Kopf schütteln über Nintendos (wirtschaftlich gesehen nachvollziehbare, aber interessiert uns das?) Entscheidung, den Titel nicht außerhalb Japans zu veröffentlichen. Es gibt eine äußerst engagierte Fan-Übersetzung, bei der Nintendo sich blind stellt. Wohl weil es dem Firmen-Image nicht gut täte, die Löschung einer Übersetzung zu fordern von einem Spiel, das man selbst trotz einer nicht zu kleinen Petition dem westlichen Publikum vorenthalten hat.
Die Liebe der Fans spiegelt sich noch deutlicher wider in dem dicken Komplettlösungsbuch, welches ich selbst zwar nicht besitze, aber das schon verdammt eindrucksvoll aussieht für ein Fanprojekt. Wenn man Mother 3 noch nicht gespielt hat, kann man sich anhand dessen wohl ausmalen, dass auch das Spiel etwas heute in dieser Branche Rares ist: a labour of love. Ich persönlich habe schon lange nicht mehr, nein, vermutlich noch nie ein so erfrischendes RPG gespielt.
Das Spiel macht übrigens anscheinend einige Anspielungen auf seine Vorgänger, ist aber auch ohne deren Kenntnis als abgeschlossenes Werk zu genießen. Allerdings könnte es euch wie mir gehen und man ist nachher verdammt neugierig auf die Vorgänger, vor allem Teil 2. Und dann gibt es die auch noch als Compilation auf dem GBA...

Importfreundlichkeit: Der Löwenanteil des Texts ist durchgehend in Kana geschrieben, was ich persönlich eigentlich schwieriger finde, als mit Kanji. Andererseits ist es aber besser zum Nachschlagen. Gänzlich ohne Kenntnisse sieht's wieder mal schlecht aus, da würde man auch einfach zu viel Gutes verpassen , da das Spiel zum Großteil über Text funktioniert. Aber wie gesagt, wer auch per Emulator spielt, hat die Wahl der Übersetzung.
Verfügbarkeit: Hatte keine allzu hohe Auflage, sollte aber zu beschaffen sein. In Japan kostet es gebraucht, komplett etwa 3000 Yen (ca. 23€).

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Online seit 6274 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 5. Sep, 12:45

Credits

content: Philipp Klueglein 2006-2013
Fonts used: Baskerville, Futura, 'Cardboarder' by kix, 'Frigate True Type Katakana 3D'

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