Sonntag, 5. Dezember 2010

Ich hab ein knallrotes Gummiseil

umihara kawase cover Spiel: Umihara Kawase (海腹川背)

Konsole: Super Famicom

Version: jap.

Erschienen: 1994

Genre: Platformer/ "rubbering action game"

Wertung: 8/10

16 Jahre ist es her, da erschien in einem fernen Land ein Spiel, programmiert von einem winzigen Entwicklerstudio namens TNN („Think about Needs of Notice for human being“...) und veröffentlicht von NHK, dem japanischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Seither wurde der Super Famicom Titel zu einem echten Kultspiel, das im Jump n Run Genre nahezu einzigartig ist und Spieler zum Schwärmen und Fluchen bringt. Was aber ist so außergewöhnlich an Umihara Kawase?

Im Prinzip bleibt es den Genrewurzeln treu. Das titelgebende Mädchen ist auf unerklärte Weise in einer surrealen Welt voller an Land umherwandernder Meerestiere gelandet. Es gilt, sich diesen zu entledigen und auf dem Weg zu einem der Levelausgänge das unwegsame Terrain zu überwinden. Neben einem eher kurzen Sprung hat die Protagonistin aber noch ein besonderes Werkzeug im petto: einen Enterhaken mit Gummiseil. Damit können nicht nur Gegner betäubt und aus dem Weg geräumt werden, sondern natürlich auch mit der Umgebung in vielfältiger Weise interagiert werden. Sich an einigen Stellen hochzuziehen oder herabzulassen ist einfach und nicht unbekannt aus manch anderem Spiel, auch Lianen-Schwingaktionen kennt man bereits seit 8-Bit-Tagen, etwa aus Bionic Commando. Die Physik des Gummiseils jedoch macht hier den Spielwitz aus; sorgt je nach Stand eures Könnens für Momente der Frustration oder der Freude. Durch gezieltes Schwingen und Verlängern und Verkürzen des Seils könnt ihr euch an vormals undenkbaren Stellen entlanghangeln, ja geradezu nach vorne katapultieren. Das Leveldesign geht damit Hand in Hand und ermöglicht aberwitzige Abkürzungen, verlangt gar an manchen Stellen Aktionen, die in Sachen Schwierigkeitsgrad aus heutiger Sicht verblüffend sind. umihara kawase screenshot 1

umihara kawase screenshot 2

Es ist die Mischung aus kreativen Möglichkeiten, gnadenlosem Anspruch und dem eigenen Fortschritt im Umgang mit dem Werkzeug, der Umihara Kawase auf Ebene des Gameplays so reizvoll macht. Hinzu kommt die Spielewelt, welche grafisch auf dem Super Famicom zwar bestenfalls durchschnittlich, jedoch auch eigenartig anziehend ist. Die Level sind sehr blockig (dem Gameplay geschuldet) und bieten euch beispielsweise übergroßes Gemüse oder Schreibwaren vor einem Hintergrund, der wohl aus digitalisierten und dabei ziemlich verpixelten Fotos besteht, und harmloser Dudelmusik zur Untermalung. Die Gegnerschar mit den umherwatschelnden Fischen tut ihr übriges. Überhaupt sind fischige Gegner in Videospielen ja immer gut. Auch wenn hier erwähnt werden muss, dass ihr Auftauchen gleichzeitig mein größter Kritikpunkt am Spiel ist. Als wären die brutalen Leveldesigns nicht genug, erscheinen die Gegner ständig aus dem Nichts, teilweise gar in Gruppen und auf kleinsten Plattformen oder direkt vor euch. Ist ihr Erscheinungspunkt allzu nah an der Spielerfigur, werden sie zwar zurückgezogen (was an sich schon komisch programmiert ist), doch ergeben sich trotzdem zuweilen fiese bis unfaire Situationen. Vor allem mehreren Gegnern auf einmal seid ihr schlicht nicht gewachsen, da euer Haken immer nur den vordersten Gegner trifft und ihr ihn nur erledigen könnt, indem ihr ihn bis zu euch heranzieht. Zu allem Überfluss bedeutet jede Berührung eines Feindes den Verlust eines Lebens; kleine Gegner oder Projektile lassen euch hingegen derart über den Bildschirm taumeln, dass ihr meist im nächsten Abgrund landet.

Außerdem wäre es trotz der ohnehin kurzen Dauer des Spieles nett gewesen, wenn man irgendeine Möglichkeit hätte zu speichern oder wenigstens einen Cheat zum Level auswählen. Was euch dennoch zum immer wieder Spielen motiviert ist neben dem originellen Gameplay und immer neuen Abkürzungen die Tatsache, dass das Spiel nicht linear ist. Viele Level bieten mehrere Ausgänge, welche euch dann auch auf einen anderen Pfad des Spieles bringen. Der Abspann läuft dann anscheinend nach einem gewissen Level des jeweiligen Pfades ab. Ich sage „anscheinend“, denn auch nach mehreren Wochen Übung ist es mir noch nicht gelungen, einen Pfad zu beenden. Obwohl man eigentlich in einigen Minuten durchkommen könnte, bietet euch der Schwierigkeitsgrad hier auch auf lange Sicht Unterhaltung, zumal ihr immer noch versuchen könnt, auf Zeit zu spielen. Hier kommt auch der eingebaute Speicher ins Spiel: während Spielstände darauf nicht verewigt werden, könnt ihr mehrere Replays von besonders schnell erledigten Levels speichern und immer wieder ansehen. Auf youtube gibt’s natürlich auch die üblichen wahnwitzigen Speedruns zu bewundern.

Die Beliebtheit des Spiels hat immerhin für ein Sequel gereicht, welches unter dem Namen Umihara Kawase Shun für die PlayStation erschien. Beide Spiele wurden später als Collection für die PSP zusammengefasst, welche allerdings sehr fehlerhaft und daher nicht empfehlenswert sein soll. Jünger ist die Umsetzung für den Nintendo DS, die wie man liest gut gelungen ist. Das Originalmodul fürs Super Famicom samt Verpackung und Anleitung wird im Westen recht teuer gehandelt, da das Spiel eben Kultstatus hat, nicht außerhalb Japans erschienen ist und Preise für komplette SFC-Games eh bekloppt sind. Wer irgendwie die Möglichkeit hat, sollte es sich in Japan kaufen lassen, wo ich nach einigem Suchen für etwa 3500¥ fündig geworden bin. Das ist zwar auch nicht arg billig, aber das Spiel ist es meiner Meinung nach absolut wert, Teil einer jeden Sammlung zu werden, sofern man Spaß an Herausforderungen hat und originelle Spiele zu schätzen weiß.

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Zuletzt aktualisiert: 5. Sep, 12:45

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content: Philipp Klueglein 2006-2013
Fonts used: Baskerville, Futura, 'Cardboarder' by kix, 'Frigate True Type Katakana 3D'

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