Musikalische Tellerrandexkursionen Pt. 2

Die zweite Runde, diesmal mit Funk und Klassik-Noise!

Maschinenmagie

fennoberg-magic&return Fenn O'Berg - Magic & Return

Label: Editions Mego

Spielzeit: 100 min

Drei Meister ihres Faches setzen sich an ihre Powerbooks und setzen zur Improvisation an. So war das Ende der 90er, als sich Fennesz, Peter Rehberg und Jim O'Rourke damit ganz schön was trauten und gar manches Publikum gegen sich aufbrachten. Zwei Alben sind aus den Live-Improvisationen entstanden, danach war erstmal etwa sieben Jahre Funkstille bei dem beschäftigten Trio. Eine Dekade nach der Veröffentlichung des ersten Albums gibt es jetzt auf dem Editions Mego Label beide Werke im schicken Digipack zusammengefasst mit zwei Bonustracks und damit wohl ein Stück Geschichte der elektronischen Musik, denn heutzutage verwundert ein Laptop-Trio keinen mehr.

Die erste Scheibe The Magic Sounds Of Fenn O'Berg startet mit Shinjuku Baby Pt. 1 und macht gleich deutlich, dass man es hier nicht leicht haben wird. Laptop-Noise plus zerschnippelte Kinderlieder plus ein ausgedehntes Xylophon(?)-Solo lassen nicht viel Raum für Melodien und hinterlassen schließlich den Eindruck einer jener abstrakten Collagen, die einem letztlich garnichts sagen. Shinjuku Baby Pt.2 reitet fünf Tracks später mit 12 Minuten Laufzeit auf der selben Abstraktionswelle inklusive einem Beat von einer scheinbar dauerskippenden CD, der zur Hälfte des Tracks mit diversen anderem Gepolter und Gefiepe eine Eigendynamik entwickelt, ehe sich die Töne verdichten und unter einem Schleier langsam ersticken. In Horst und Snail mit Markus schleichen sich edle Streicher von hinten an vordergründigen Industrialschrott und lassen spacige Synthiewolken vorüberziehen. Gürtel Eins ist dann einer meiner beiden Favoriten. Zu Beginn wird hier recht hektisch mit Samples unter anderem vom Piano umhergeworfen, was mich einmal mehr an die Herangehensweise von Fantomas erinnert, recht disparates Material in einen Zusammenhang zu stecken, in dem es zwischen Dadaismus und Genie sein Zelt aufschlägt. Gegen Ende blitzen aber trotz konstantem Oszillieren, Flirren und Flimmern einige warme melancholische Flächen durch. Der große Lobträger bildet hier den Schlusspunkt: das Fenn O'Berg Theme mit seinen geloopten Streichern und brillant ergänzenden Glockenspiel- und Trompeten-Einsätzen, natürlich alles begleitet von flirrender Geräuschkulisse aus den Chips. Dieser Track zeigt ganz klar die Richtung an, die das spätere Werk einschlagen wird.

Das Problem des ersten Albums ist, dass es letztlich nicht über das Attribut „interessant weil seltsam“ hinauskommt. Selbst nach vielen Hördurchgängen ergibt sich keine tiefere Ebene, kaum staunenswerte Momente, wie sie beim zweiten Album an der Tagesordnung sind, und kaum eine emotionale Qualität. Selbst vergleichsweise unterkühlte elektronische Musik überträgt ja meist noch Emotionen, und sei es durch ihre abweisende Strenge. The Magic Sound ist allerdings aus so vielen Elementen zusammengeschustert, dass man sich schwer tut sich darin einzurichten.

War das erste Album also noch von überbordender Experimentierfreude geprägt, jedoch als Hörerlebnis eine zwiespältige Angelegenheit, so scheinen sich die drei Herren bei ihrem Zweitling besser aufeinander eingespielt zu haben. Das fängt schon bei einer aufgeräumteren Trackliste an mit gerade mal vier Stücken, davon drei aber auch je 10 bis 14 Minuten lang. Lediglich der Opener Floating My Boat gibt sich etwa 5 Minuten zufrieden, lässt aber schon ein strukturierteres, dabei aber umso interessanteres Werk vermuten.

Nach leicht techno-eskem Einstieg bleibt das Teil erstmal in einer Schleife hängen und lässt sich von den üblichen fragmentierten Minimalmelodien und gesampletem zähem Drum-Brei überhäufen, um dann noch eine Minute Godspeed You! Black Emperor Soundscapes zu imitieren. A Viennese Tragedy setzt den Klassikeinschlag fort mit Streichern und sogar einer Akustikgitarre, selbstverständlich mit Betonhighway durch's Orchester und einem Kampf mit dem Digitalzirpen um die Stereokanäle. Die analoge Seite gibt sich vorübergehend geschlagen, ehe am Ende doch wieder Sofas aus staubigen Opernsälen hereingetragen und mit Neon-Farbbeuteln beworfen werden. Die Dynamik der Samples setzt Akzente während an der Oberfläche gehext wird. Riding Again spielt Pong mit leiernden Zweiton-Melodien und schmuggelt einen zerschossenen Beat dahinter, ehe zunächst eine dröhnende Walze die Basis bildet und letztlich auch diese zerfällt und die Klanglandschaft ausgedünnt wird. We Will Diffuse You fühlt sich etwas düsterer an mit einem Gewaber, das sich fast schon als Drone klassifiziert und wie ein 70er Science Fiction Thema in einer unheimlichen zeitlosen Welt schwebt, in die auch die Noisesprengsel bestens reinpassen. Das Ende geht dann auch in die Dark Ambient Richtung, doch wer die hier besprochene Version des Albums besitzt, kann sich von einem ziemlich krachigen Bonustrack nochmal aufschrecken lassen.

Insgesamt gibt sich das zweite Album ein stückweit zurückgelehnter als das erste. Die drei hören sich mehr gegenseitig zu und haben ein beeindruckend stimmiges und tiefes Laptop-und-darüber-hinaus-Monster erschaffen.

Wie so eine Live-Improvisation tatsächlich aussieht und tönt hat mich (auch als Jim-Fan) da natürlich brennend interessiert und zu meinem Glück haben sich die drei Herren nach langer Pause gerade wieder in der selben Stadt wie ich zusammengefunden und ein erstes Live-Set gespielt. Abgesehen von der enttäuschenden Kürze von einer Stunde bei einem nicht gerade niedrigen Preis von umgerechnet 22€ war es ein sehr positives Erlebnis. Natürlich darf man performance-mäßig rein garnichts erwarten. Alle drei sitzen mit unheimlich konzentrierter Miene (kaum ein Blick zur Seite) vor ihren Gerätschaften, hin und wieder dreht auch mal einer ein Knöpfchen oder Fennesz schlägt zwei Saiten auf seiner Gitarre an, das war's. Das Spektakuläre daran ist das Gefühl, direkt bei einer Improvisation dabei zu sein, die genauso gut als Kompositionsvorgang durchgehen könnte. Einige Momente wirkten wahnsinnig stimmig, in anderen gab es wilde Noise-Angriffe, welche für mich fast ein bisschen lustig waren. Da sitzen Publikum und Künstler sich nahezu bewegungslos andächtig gegenüber und in der Luft liegt Krach als ginge die Welt unter, während alle konzentriert lauschen. Nur eine Seite drückt Knöpfe. Die andere staunt.

Video: Ausschnitt des Konzerts vom 24.10.2009

Zurück in die Zukunft

fennoberg-magic&return James Chance and the Contortions - Buy

Label: ZE

Spielzeit: 29 min

Zurück ins No Wave New York der späten 70er Jahre. Zu einem Album, das einerseits genau dem Szene-Zeitgeist musikalischer Destruktion und bedingungslosem Experiment entspricht, andererseits eigentlich auch aus der Genre-permiablen Gegenwart stammen könnte, irgendwo auf einem Liebhaber-Label. Kann diese Platte wirklich 30 Jahre alt sein? James Chance alias James White alias James Siegfried (wie er eigentlich heißt) und seine Band schweißen hier eine unheilige Mischung zusammen, die sich krallt was nicht zusammengehören zu schien und dabei gleichzeitig zukunftsweisend wie einzigartig wurde. Mit seinem Hintergrund als furioser Saxophonist und einer scheinbar grundlegenden angespannten Aggression in den Stimmbändern (die sich auf den Konzerten seinerzeit gerne auf seine Fäuste übertrug), kombiniert er sein Gespür für Komposition mit gezielter Schräglage und stellt dabei mehr Ansprüche an das musikalisches Können seiner Bandkollegen als andere Bands dieser Zeit; stellt nicht alles dem wuchtigen Einschlag hinten an. Er vereinigt black und white music (nicht umsonst hieß die Nachfolgeband James White and the Blacks), ist im modernen freien Jazz genau so zuhause wie in Disco und dem wüsten Funk eines James Brown, oder auch dem hektischen Sound der Talking Heads. Alles gebündelt durch Punkattitüde und die atonalen Querschlägergitarren des no wave.

Was dabei rauskommt ist pures Dynamit, rastlos groovende Songs mit mal unsteten, mal stur gleichförmigen Rhythmen, ungeahnten Ausbrüchen und trotz allem einer tightness, dass man rein garnichts machen kann als gebannt diesen Gestörten hier zuzuhören. Bis auf Anesthetic sind alle Titel im höheren Geschwindigkeitsspektrum angesiedelt, was aber auch eine Täuschung sein könnte weil alles konstant kurz davor ist auseinander zu brechen und durch einen undefinierbaren Sog zusammengehalten wird. Versuchte man das Ganze auf seine Einzelteile zu reduzieren, kämen dabei um die Ecke gewachsene Zahlenbäume raus, im Gesamtbild schlägt man aber lieber Purzelbäume. Buy ist eines der raren Alben, die zwar hörbar nachfolgende Bands inspirierten, gleichzeitig aber einzigartig und vor allem frisch blieben. So handelt es sich schließlich weniger um eine Geschichtsstunde oder Betrachtungen ästhetischer Patina, als vielmehr um ein zeitloses Kraftpaket, dessen Magie man sich auch heute nicht entziehen kann.

Video: Archival footage of James Chance and The Contortions playing in NY

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Zuletzt aktualisiert: 5. Sep, 12:45

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content: Philipp Klueglein 2006-2013
Fonts used: Baskerville, Futura, 'Cardboarder' by kix, 'Frigate True Type Katakana 3D'

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